„Take care“ – Mein Trip nach Colorado

Genau 1 Jahr ist es aus, dass ich von meiner letzten „normalen“ Auslandsreise zurück kam. Die vom Außenwirtschafts-Center Austria und der Jungen Wirtschaft Österreich organisierte Zukunftsreise 2020 nach Denver und Boulder war ein voller Erfolg. Mit dabei waren JW Bundesvorsitzende Christiane Holzinger, JW OÖ Landesvorsitzender Bernhard Aichinger und ich mit einigen österreichischen Startups. Unsere Neugier war groß – unsere Einblicke enorm. Ein Bericht über eine Kleinstadt in einem der wirtschaftsstärksten Bundesstaaten der USA, das sich gerade als neues Silicon Valley etabliert.

Portrait Christoph Heumader | JW Team

Christoph Heumader | JW Team

JW Bundesvorstandsmitglied

19.3.2021

Gruppenbild JW Ausflug Colorado
© JW Teilnehmer in Colorado

Wie startet man als Unternehmer in den amerikanischen Markt? Wie funktioniert der Marktaufbau und das Marketing in den USA?

Als Vertreter der Jungen Wirtschaft haben wir uns dazu im Land der un-/begrenzten Möglichkeiten schlau gemacht. Zuerst ein paar Zahlen:

  • Die USA sind für Österreich mit einem Exportvolumen über 10 Mrd. Euro der 2. wichtigste Exportmarkt und der wichtigste Überseemarkt.
  • „Made in Austria“ sorgt alleine in Oberösterreich für US-Exporte von über 2,5 Mrd. Euro
  • Colorado ist der 8. größte Bundesstaat der USA – und der gesündeste: die Menschen die hier wohnen, leben sehr gesund und betreiben typisch österreichische Sportarten wie Schifahren und Wandern – aber sie arbeiten auch hart und möchten genug Zeit und Möglichkeiten, um ihre Work-Life-Balance zu verbessern.
  • Denver ist die Hauptstadt von Colorado und mit über 700.000 Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt im Bundesstaat.
  • Boulder ist eine „Kleinstadt“ mit über 100.000 Einwohnern (rechnet man die umliegenden „surroundings“ hinzu, kommt man auf über 300.000 Einwohner) – sie liegt nur 30 min entfernt von Denver.
  • Die US-Arbeitslosenquote lag 2020 unter 4 %, Denver nur bei 2,4 % (40 % der Bevölkerung sind Akademiker)

„Denver is the big City, but Boulder is quality”

Gleich bei unserer Ankunft fiel uns das selbstbewusste Auftreten der Einwohner beim Vergleich zum vermeintlichen Konkurrenten Silicon Valley auf. Boulder ist ein Hotspot für „Renewables“ wie Wind, Wasser und Sonne und beheimatet viele Militär-nahe Einrichtungen wie z. B. die Raumfahrt-Technologie. Die „Housing Costs“ (Lebenserhaltungskosten inkl. Miete) betragen hier nur 1/3 vom Silicon Valley und auch die Steuern liegen nur im einstelligen Bereich (6-9 %). Bis auf die hier sehr günstigen Steuern ist die Region rund um Boulder aber sonst gut mit Österreich vergleichbar.

„Boulder is much more comparable with Austria than the Valley“
US Botschafter Tony

Boulder ist zwar begrenzt – zum einen durch den natürlichen „green Belt“, zum anderen durch die örtliche Bauverordnung (Höhenbeschränkung auf max. 5 Stockwerke) – aber die hier vorfindbare Mischung ist einmalig: warm, swimming, climbing und hiking, aber auch kalt, Schnee, Berge und Schifahren. Die zentrale Lage bei wenig Verkehr macht die Uni sehr begehrt, vor allem im Vergleich zum „überladenen“ Silicon Valley, wo man bei wenig Verkehr 4 Stunden zum nächsten Skigebiet braucht.

Diese für US-Verhältnisse einmalige Region ist in der Kombi Denver/Boulder auch sehr wertvoll: „1 Billion $ per year on exits.“ Boulder wächst nicht wie Denver sehr stark an Fläche, sondern sehr stark an Technologie. Hohe Summen an Venture Capital sind hier normal. Der Unterschied zum Silicon Valley: hier dreht sich nicht alles um den Mitarbeiter, sondern um die Region, um die Work-Life-Balance und die günstigeren Lebenserhaltungskosten.

„Go big or go home“

Um Teil dieser Gemeinschaft zu werden, muss man sich mit den amerikanischen Gegebenheit vertraut machen. So wie wenn man eine Vision verstehen muss, um Teil einer Firma zu werden, etwa in Form von Beteiligungen. Allgemeine Tipps der ersten Tagen von örtlichen Unternehmern:

  • Alles verschriftlichen: Verbale Zusagen sind gut, aber nur geschriebenes zählt! Egal ob es um Verträge oder um geistiges Eigentum (intellectual property) geht, zumindest ein E-Mail sollte man schreiben.
  • Intellectual Property (IP) sichern: In den USA wird das geistige Eigentum sehr hoch gehalten. Gemeinsam mit dem Arbeitsrecht ist man dort als Mitarbeiter zwar halbwegs geschützt, aber für Unternehmen und Startups wird es bei der IP immer schnell teuer.
  • Klagen vermeiden: IPs sichern ist noch immer günstiger als US-Klagen: die Amis klagen gern Existenz-gefährdend, mit durchschnittlich 1,5 Mio. Dollar pro Klage! Also sich besser absichern.
  • Keine Steuern zahlen bis $ 100.000: Die Umsatzsteuer-Registrierungspflicht zwecks Einhebung & Abführung der „Sales Tax“ gilt erst bei Verkäufen über $ 100.000 bzw. über 200 Transaktionen pro Jahr (in NY erst ab $ 500.000).
  • Die Steuern nicht unterschätzen: Trotz der niedrigen Steuern und der sehr niedrigen Lohnnebenkosten (15 % Sozialversicherung) ist das alleine noch kein guter Grund, sich in den USA sesshaft zu machen.
  • Das richtige Visum holen: Das L-Visum (gilt für 1 Jahr) ist mittlerweile schwierig zu bekommen, da es in den letzten Jahren von einigen Nationen (zB Indien) dazu missbraucht wurde, um Horden von SW-Entwicklern in die Staaten zu senden. Vor allem für Österreicher ist das E-Visum (gilt für 5 Jahre) leichter zu bekommen. Sehr positiv wirken sich die Markteintrittskosten aus, genauso ob US-Bürger als Mitarbeiter eingestellt werden.

„From IP to IPA“

Nachdem wir uns mit der Kultur und der Region auseinander gesetzt haben, bekamen wir in den nächsten Tagen wieder einige Insider Tipps von namhaften Unternehmern zum US Business zu folgenden Themen (alphabetisch geordnet):

  • Anstellung: Alle Anstellungen sind immer „At Will“, d. h. das Arbeitsverhältnis ist jederzeit ohne Grund innerhalb von 14 Tagen auflösbar, Arbeitgeber ist verpflichtet
  • CVs: keine Fotos in CVs – auch Alter, Religion, Sex sind tabu
  • Governmental Things: werden schon seit Jahren online erledigt, also am besten zuvor online registrieren für Employers Identication Number (EIN) und Corporate Tax ID
  • Gründen: man kann zwar jederzeit gründen, aber nicht jederzeit arbeiten – ein Businessplan ist jedenfalls sehr hilfreich für E-2 Investor-Visa (Antragsteller ist Firma oder individueller Investor) – es ist immer gut, wenn man „Sponsoren“ hat
  • Feiertage: (religiöse) Feiertage sind zu akzeptieren, aber nicht zu bezahlen
    Income Tax: liegt bei nur 21 %, private Versicherung ist notwendig
  • Innovation: heißt dort „stay focused … and have some fun too!“
    Sales Tax: kein VAT System sondern per State – jeder Käufer bezahlt Sales Tax, jedoch selten bei Services / B2C / B2B / Case by Case
  • Shareholder Agreements: Alltag, vor allem für Startup
  • Trade Shows: die Amis sind sehr trade affin – sie lieben große Trade Shows + Marketing/Preis – US Referenzen sehr wichtig!!
  • Verkäufe: Ami sind gute Verkäufer – sie versprechen oft alles (low ball), liefern aber wenig oder gar nicht
  • Verträge: US-Verträge sind umfangreich und lang, weil sie alle Eventualitäten abdecken müssen
  • Workers‘ Compensation: Arbeits- und Berufsunfall-Versicherung, ist die einzige verpflichtende Versicherung

Am Abend besuchten wir noch Pubs und auch eine Craft Brewery (ja, das war damals noch möglich). Das IPA-Bier war dabei zwar nicht das Highlight, dafür erfuhren wir alles über die Gründe, warum Organisationen aus dem Silicon Valley wegziehen:

  • sie finden keine Mitarbeiter
  • wenn sie Mitarbeiter finden, sind diese extrem teuer: 250.000 – 350.000 $ pro Jahr (und von 250.000 $ kann man im Valley schon fast nicht mehr leben)
  • Boulder ist billiger (wird natürlich auch immer teurer, es ist aber noch immer sehr leistbar
  • die Zeitzone im Valley nervt: Calls mit Europa zwischen 5 und 6 Uhr früh morgens
  • den ganzen Tag in Flip-Flops rumlaufen ist zwar super, den restlichen Tag im Verkehr zu verbringen aber nicht (mehrere Stunden Stau waren zumindest vor Corona noch an der Tagesordnung)

Boulder als zentrales Silicon Valley

Boulder ist zwar limitiert, aber kreativ, innovativ und liegt zentral
Man darf laut Bauverordnung max. 5 Stockwerke hochbauen. Google möchte aber 10 Stockwerke, also baut man einfach 5 Ebenen nach unten. Die Region wächst zusammen, die Umgebung wird dichter und aufgrund guter Verkehrsinfrastruktur fährt man von Boulder Downtown nach North Denver nur 30 Min. mit dem Bus. Die fast lane für Busfahrten zum Airport Denver und die Tatsache innerhalb von 2 Stunden fast überall hinfliegen zu können machen die Region attraktiv. Colorado liegt in der Mitte der USA und ermöglich alle Richtungen: East Coast (konservativ, wenig Zeit-Verschiebung, mehr direkte Flugverbindungen nach AT), West Coast (Technologie, Umwelt, Renewables) und South West (Energy, Texas). Life quality hoch, cost of living niedrig. Remote arbeiten und Home Office war schon vor Corona gängig. Die Leute in Denver und Boulder sind sehr nett und hilfsbereit, man hat 300 Tage Sonne im Jahr und die höchste Tesla & Cyber Truck Dichte.

Hohe Summen, Preis nebensächlich

Viel Geld, viele Investoren und große Brands machen Boulder für Investoren und Gründer interessant. Man sollte aber immer auch über eigenes Guthaben verfügen. Nur Prepaid, also Geld, das man selbst mitgenommen hat, kommt man gut an. Umgekehrt soll man beim Verkaufsgespräch den Preis so spät wie möglich erwähnen. Der Preis ist nicht immer alles, aber der Verkaufsprozess sollte abgeschlossen sein (alle „Ja“ abholen), bevor über den Preis verhandelt wird.

USA ist die größte Marktwirtschaft

Wer heute sät, wird morgen ernten. Was sind die nächsten Hotspots neben New York und Silicon Valley? Ganz klar Boulder und Austin, Texas! Die hier vorherrschende Ökonomie ist sehr interessant und hat viel Potential, vor allem für den E-Commerce-Bereich und digitale Lösungen im größerem Umfeld. Außerdem ist die Szene super gut vernetzt, auch die österreichische, z. B. durch eine German Language School. Konkret bedeutet das aber auch: Keiner wartet auf dich!

Startup Ökosystem ist vorbildlich

Die USA sind politisch ein gespaltenes Land – selbst der Virus wurde bereits vor der Pandemie zu einer parteipolitischen Angelegenheit. Einigkeit herrscht bei den Startup Ökosystemen „3 Cs“: Coopetition (Mix aus Cooperation + Competition), Capital (wied bei Skalierung im 6./7. Jahr zur Challenge) und Customer centered view (Customer muss von Anfang an eingebunden / eingeplant werden, Methoden wie die Customer Journey können hier zum Einsatz kommen). Startups sind nicht immer „Scalups“.

Österreichische Unternehmen in den USA sind Vorzeigebetrieb

USA ist der 2. wichtigste Wirtschaftspartner für die österreichische KMU-Struktur. Österreichische Startups machen alles richtig und kommen gut an – dank der WKO Programme go-international und Go Silicon Valley! Viele österreichische Unternehmen sind sehr erfolgreich und bewegen sich als Hidden Champions oft unter dem Radar. Das Handelsbilanz-Defizit ist interessant und betrifft uns alle: 1. NAFTA/USMCA (mit Kanada und Mexiko, wurde erst vor kurzem ratifiziert), 2. China (Hauptthema IP) und 3. EU!

Der Corona Virus war von Beginn der Reise an Gesprächsstoff vieler Diskussionen. Zuerst wurde gescherzt über Maßnahmen in China, die uns für Europa undenkbar schienen, wie z. B. Home Schooling. Durch tägliche Berichte aus der Heimat merkten wir aber dann, dass es ernst wird mit ersten Einschränkungen. Google & Co durften aufgrund ihrer Company Policies keinen Besuch mehr empfangen. Viele teilnehmende Startups hätten nach den Pitching Days noch wichtige Termine wie Trade Show Messen oder Management Meetings in NYC gehabt. All diese Termine wurden abgesagt und schon zu diesem Zeitpunkt boten viele Unternehmen nur mehr Home Office und Video Calls an, Besuche wurden generell nicht mehr gestattet.

Google in Boulder

Google hat in Boulder eine eigene Niederlassung mit ca. 100 Teams. Statt einen Firmenbesuch gab es einen Video Call mit dem Leadership Team, „responsible for feeling like home here in Boulder, breakfast (9-11) & food (13-14:30) for free, skiing & hiking trails“. Die ca. 1.400 Mitarbeiter kümmern sich um Google Drive (was initialized here), Google Payments, Operations und Google technical services and customer help.

„Boulder has a great talent base, a lot of communities and is a University and College town“
Google Leader Ann

Der „Google Boulder Campus“ ist eine einzigartige Tech Community. Das Google Team schwärmt über die Struktur in Boulder: „entrepreneurship & startup environment, a lot of national technology, people like outdoors, a popular aerospace program“. Die Google Teams arbeiten natürlich digital und agil, folgende Methoden kommen zum Einsatz:

  • Key Objective – for each team, no matter if agile Scrum team or Kanban team
  • Key oriented – not waterfall model, but stable release plan
  • Vertical Teams – different teams in different time zones
  • Feature Teams – we do not structure teams, teams are built around topics and managers are leading them

Google als „multi-tentacle organization“ möchte „a real world practical solutions“ und setzt auf Team Management um die Werte „effective teams, leadership & the ability to fail“ voranzutreiben. Seit Jahren gibt es dazu das Buch „How Google works„, wo die Operations-Ebene eingeht auf „cheap and easy things for organization – but mean a lot for employees“.

Es war ein sehr aufschlussreicher Trip zu einer sehr unnormalen Zeit. Gemeinsam den Beginn einer schwierigen Zeit zu meistern, schweißt zusammen und gibt Kraft. Das letzte mal in gewohnter Freiheit. Von Boulder habe ich mitgenommen: T-Shirts statt Krawatten, Wander- und Kletter-Meetings statt langweilige Meetings und Qualität statt Quantität.

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