Künstliche Intelligenz, Roboter und Massendaten

Künstliche Intelligenz, Roboter und Massendaten revolutionieren derzeit das Gesundheitswesen. Keine andere Disziplin bestimmt brisanter über Leben und Tod als die Medizin, die auch geschichtlich das höchste Innovationspotential und ökonomisch die größten Margen hervorruft.

Portrait Julia Puaschunder | Gastautorin

Julia Puaschunder | Gastautorin

Verhaltensökonomin und derzeit Prize Fellow im Inter-University Konsortium von New York an der Columbia Universität

20.1.2020

Bundesvorsitzende Christiane Holzinger und Julia M. Puaschunder
© JW Bundesvorsitzende Christiane Holzinger und Julia M. Puaschunder

Eine im November 2019 durchgeführte ExpertInnen-Befragung identifizierte das aus Massendaten generierte Wissen als Grundlage von maßgeschneiderter, personalisierter Gesundheitsversorgung. Effizienz, Präzision und bessere Qualitätsarbeit werden als die günstigsten Entwicklungen von Künstlicher Intelligenz, Robotern und Massendaten im Gesundheitswesen hervorgehoben. Dezentrale Präventionsmaßnahmen und Telemedizin ermöglichen breitflächigen und demokratischen Zugang zu erschwinglicher Gesundheit.

Technologische Innovationen können jedoch in Zukunft die Kosten für exzellente Medizin erhöhen. Vor allem die steigende westeuropäische Alterspyramide und die Gesundheitsversorgung von Bevölkerungsgruppen, die nicht langfristig zu einer Verjüngung der Gesellschaftsstruktur führen, bergen derzeit Herausforderungen. In Österreich wird geschätzt, dass sich die Kosten für eine innovative Gesundenversorgung innerhalb der kommenden Dekade verdoppeln werden. In den USA wurde errechnet, dass 70 % der über ein Menschenleben verteilten Gesamtkosten für Medizin in den letzten Alterswochen anfallen. Der steigende Gesundheitsbedarf einer alternden Bevölkerung Westeuropas sollte nicht zu einer Verminderung des Qualitätsanspruches oder einer finanziell-gesteuerten Klassenmedizin führen.

Lukrative Marktlösungen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Robotern und Massendaten im Medizinbereich wären:

Ethisch-geleitet Massendaten kapitalisieren

Trends und individuelle Erkenntnisse aus Massendaten gewinnen, brechen derzeit eine Innovationswelle im präventivmedizischen Feld. Genetische Tests über Blut und Speichelflüssigkeit werden vor allem in den USA großflächig angeboten, um Krankheitsmarker aus der individuellen Herkunft festzustellen. Gemeinsam mit den nötigen Auswertungsmethoden lassen sich Prävalenzen für Krankheiten von gesamten Bevölkerungsgruppen generieren. Weibliche Eizellen sind mittlerweile auch handverlesbar, um zum optimalen Zeitpunkt mit einem gentechnisch dazu passenden Partner optimal befruchtet zu werden. An diesen Innovationsspitzen stellen sich jedoch die in unserer Zeit brennendsten Ethikfragen.

Im Gesundheitswesen hat Europa einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den USA und China, weil Gesundheit hier weitgehend staatlich geregelt ist. Dies hat zu einem historisch gewachsenen Datenreichtum über eine relativ homogene Bevölkerung geführt. Aus der Geschichte verfolgt Europa das höchste Ethikmandat. Europa führt bei technologischen Innovationen, vor allem im Gesundheits- und Pharmabereich, die ursprünglich aus Europa stammen. Die gut ausgebildete Bevölkerung Europas nimmt international technologische Innovation effizient und schnell auf, haucht jedoch kapitalistisch getriebenem Fortschritt auch Ethik ein – beispielsweise wenn man an die konservative Zulassung von Medikamenten in Europa denkt. Medizin und Pharmazie sind staatlich reguliert und gelten als geschützte Bereiche. In den USA wird vor allem der Datentransfer von marktorientierten Behörden – wie der Federal Trade Commission (FTC) und der Federal Communications Commission (FCC) – überwacht. Die europäische Bevölkerung zahlt für freien Zugang zur Gesundheitsversorgung mit Daten, über die europäische Staaten – im Zeitalter vom General Data Protection Shield (GDPR) – besonders sorgsam verfügen. Information bedeutet heutzutage mit computergesteuerter Analyse steuerfreie Gewinne. Das dabei aus PatientInnendaten gewonnene medizinische Wissen kann kommerzialisiert werden. Dies betrifft vor allem die Präventivmedizin, in der Europa seit jeher eine Vorreiterrolle einnimmt.

In den USA dominieren Notfalls- und rekonstruktive Medizin aufgrund der erhöhten Kosten für PatientInnen und Gewinne für Krankenversorger. In den USA sind öffentliche und private Medizinanbieter in direkter Konkurrenz. Marktorientierung lässt da kaum Ethik zu. Alles in allem kann Europa den aus den USA kommenden marktorientieren Innovationen einen menschlicheren Zugang und einen effizienteren präventivmedizinischen Fokus vermitteln. Europa könnte somit eine Nischenstrategie der Massendaten-gesteuerten Präventivmedizin in westlicher Tradition mit einem besonderen Augenmerk auf Ethik der gesamten Welt bieten und eine solche auch für high-end Ausländer anbietend kommerzialisieren. Derart erzielte Gewinne könnten der europäischen Gesellschaft durch freien und demokratischen Zugang zu modernster Medizin zugute kommen.

Um ethische Datenkapitalisierung zu ermöglichen, sollte die Europäische Union eine fünfte Datenfreiheit institutionalisieren.

Künstliche Intelligenz eingesetzt zur Verbesserung von ethisch geprüfter Präventivmedizin könnte dabei aus Massendaten steuerfreie Informationsgewinne erzielen – im Gegensatz zu den USA, wo dieses Marktverhalten eher im allgemeinen Konsumbereich vorherrscht. Eine fünfte Datenfreiheit innerhalb der Europäischen Union sollte positive Marktanreize für das Teilen von Information ebenso wie legale Mittel zur Diskriminierungsbekämpfung und Menschenrechtsverletzungen umfassen.

Datengeneriertes Wissen sollte nur zum Wohl, Wohlbefinden und Wohlstand der Bevölkerung genutzt, nicht jedoch gegen Menschen verwendet werden.

Eine im November 2019 generierte Umfrage von 17 ExpertInnen ermittelte als Risiken von Künstlicher Intelligenz, Robotern und Massendaten im Gesundheitswesen den Missbrauch von Daten und Eingriffe in die Privatsphäre, sowie das Fehlerpotential und Biases. Massendaten eröffnen Versicherungen die Möglichkeit, Preise anhand von Prävalenzen und dem individuellen Lebensstil festzusetzen. Es besteht die Angst vor Stigmatisierung, sozialer Stratifizierung, Diskriminierung und Manipulation. Vor allem MedizinerInnen und Angestellte im Gesundheitswesen fürchten bereits jetzt um ihren Arbeitsplatz und bemerken Probleme in der Kompatibilität mit neuen Technologien.

Im Gesundheitswesen sollten aus Massendaten gewonnene Erkenntnisse nur punktuell und nicht aggregiert dargestellt werden, um Diskriminierungspotential aufgrund von Herkunft, Wohnort oder anderen Bevölkerungsclustern zu verkleinern. Europa hat auch da einen Vorteil, weil die Bevölkerung relativ homogen ist und auch ein allgemeiner Wohlstand ohne Ungleichheit seitjeher angestrebt und in Gesellschaftsmodellen gelebt wird. Jedoch sollten dennoch einzig anonymisierte Informationsausschnitte öffentlich verfügbar sein, um Stigmatisierung aufgrund von vorhersehbaren Prävalenzen zu vermeiden – beispielsweise am Wohngebiet festgemachtes Arbeitsmarktauswahlverhalten.

Diskriminierungsschutz durch technologische Entwicklung wie virtuelle anonyme Zwillinge zur anonymisierten Datenextrapolation sollte bedacht werden. Gleichzeitig soll auch die Schulung von Kommunikation im digitalen Zeitalter so früh wie möglich stattfinden.

Die Selbstbestimmung durch die Wahrnehmung des Wertes von Privatheit sollte bereits Kinder im Schulalter spielend erlernen und Kinder auf Analysepotenziale von Daten sensibilisiert werden. Die Besteuerung von Datentransfer könnte die nötigen Finanzmittel dafür aufbringen, um mit dem Markteintritt von Künstlicher Intelligenz, Robotern und Massendaten erwirkte gesellschaftliche Verluste und soziale Kosten abzufedern.

Aufgrund der steigenden Alterspyramide wird erwartet, dass Roboter schon bald als Teil der Geriatrieversorgung aber auch bei chronisch Kranken eingesetzt werden.

Pilotversuche werden bereits in Österreich unternommen, wobei Roboter Anklang im gesamten Familienverbund finden. Auf internationaler Ebene werden Roboter legal als quasi-menschlich gesehen. In Saudi Arabien wurde sogar bereits den ersten Robotern die Staatsbürgerschaft verliehen.

Die Verleihung von Staatsbürgerschaften an Roboter eröffnet ethische Fragen einer stratifizierten Bevölkerung sowie nach der Nachhaltigkeit, wenn man an Überbevölkerungsprobleme und das ewige Leben von Robotern denkt. Historische legale Kodizes, die diversifizierte Staatsbürgerschaftsklassen umfassten, können als Grundlage für legale und regulatorische Maßnahmen in Hinblick auf Roboter mit Staatsbürgerschaft dienen:

Die erste Demokratie in Athen hatte unterschiedliche Staatsbürgerschaftsklassen mit aktivem und passivem Wahlprivilegien sowie Sklaven ohne Wahlrecht. Das Römische Recht definiert Schadenersatz und Besteuerung von Sklaven als Marktteilnehmer ohne Staatsbürgerschaft. Der Code Napoléon sieht Männer wie Frauen als StaatsbürgerInnen, jedoch unterscheiden sich diese in ihrem Marktzugang.

Basierend auf diesen historisch prominenten legalen Rahmenbedingungen, die viele Nationen der Welt beeinflusst haben, könnten Roboter nur als Staatsbürger gesehen werden mit der Aufgabe die Bevölkerung zu unterstützen und um positive soziale Normen allgemein im Gesellschaftsverbund ständig zu praktizieren. Jedoch sollten sie nicht volle StaatsbürgerInnen-Privilegien wie aktives oder passives Wahlrecht und öffentliche Ämter ausüben sowie über Besitz verfügen dürfen. Wobei eine durch Algorithmen geführte Nation oder eine durch Computer gesteuerte Medizin den Vorteil hätte, korruptionsfrei und unbestechlich zu sein.

Für eine harmonische Zukunft wird eine kompatible Mensch-Maschine Interaktion im Umgang mit Robotern wichtig sein. Ausbildungen, Umschulungen und Persönlichkeits- und Intelligenzmessung, sowie Einstiegsverfahren sollten bereits heute auf die Fähigkeit von Menschen, sich auf Künstliche Intelligenz, Roboter und Massendaten einzulassen, gepolt werden.

Wenn man eine Zukunftsprognose wagt, kann spekuliert werden, dass Menschlichkeit in Zukunft einen besonders geschützten Bereich in der Gesellschaft einnehmen wird. Grundmenschliche Werte, die heute kaum preislich erfassbar sind – wie beispielsweise wahre menschliche Bedürfnisse und Pflege, Empathie und Fortpflanzung – könnten in Zukunft wertvoller werden. Der Verlust von Menschlichkeit im Alltag wird ein Bedürfnis nach grundmenschlichen Zügen wie Humor, Fehlbarkeit, aber auch Behinderung und Diversität hervorrufen. Im medizinischen Bereich wären Studien zum Unterschied zwischen menschlicher und artifizieller Versorgung ratsam, wobei besonders auf psychologische Aspekte eingegangen werden sollte. Das breite Einbeziehen der gesamten Bevölkerung in die Ausgestaltung eines harmonischen Markteintritts von neuen Technologien und künstlichen Zeitgenossen ist wünschenswert in Hinblick auf die Wertschätzung von demokratisch erarbeiteten sich wandelnden Gesellschaftsmodellen der Zukunft.

Julia M. Puaschunder ist Verhaltensökonomin mit 20 Jahren Erfahrung in angewandter Sozialforschung und internationalen Forschungsprojekten. Derzeit ist sie Prize Fellow im Inter-University Konsortium von New York an der Columbia Universität. Davor war sie als Post-Doc an der Princeton Universität und Harvard Universität sowie der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Grundausbildung absolvierte die gebürtige Wienerin an der Universität Wien.

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