Mut in Zeiten der Unsicherheit

Nassim Nicholas Taleb sprach in seiner Keynote auf dem JW Summit 2021 von der Notwendigkeit, Risiken auf sich zu nehmen, um Erfolg zu haben. 

Nassim Nicholas Taleb ist ein Star-Ökonom und Top-Speaker. Seine Bücher “Fooled by Randomness” und “The Black Swan” wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und sind weltweit bekannt. Heute hielt er eine virtuelle Keynote auf dem JW Summit 2021 in Wien, zum ersten Mal überhaupt in Österreich. 

Die Macht des Unvorhersehbaren

Der “Black Swan” ist ein Symbol im 2007 erschienenen, gleichnamigen Buch des Autors. Symbolisch steht er hier für seltene und unvorhergesehene Ereignisse, die einen enorme Auswirkungen auf das Leben der Menschheit habe. Taleb definiert dabei recht genau, was ein “Schwarzer-Schwan-Ereignis” ausmacht: 

Ein Ereignis, das 
- so selten ist, dass nicht einmal die Möglichkeit seines Eintretens bekannt ist, 
- katastrophale Auswirkungen hat, wenn es eintritt, und 
- im Nachhinein so erklärt wird, als sei es tatsächlich vorhersehbar gewesen.

Es gibt zahlreiche Beispiele von Menschen und Unternehmen, die derartige Umstände nutzen können, um großen Erfolg zu haben. Dazu gehört Mut und die Bereitschaft, auch im Angesichts eines möglichen Scheiterns Risiken einzugehen.

Mehrere Systeme der Belohnung

Taleb beschrieb in seiner Keynote mehrere Systeme der Belohnung von akademischen und wirtschaftlichen Leistungen. Zum Beispiel gibt es für Restaurants ein Auszeichnungssystem, innerhalb dessen Gremien Kritikerinnen und Kritiker einen Betrieb mit Preisen auszeichnen können. Diese Auszeichnung sagt jedoch nichts über den Erfolg eines Unternehmens in der echten Welt aus - denn ein ausgezeichnetes Restaurant könnte genauso gut pleite gehen. Ähnlich verhält es sich im akademischen System, da akademische Forschungen üblicherweise nur innerhalb der wissenschaftlichen Kreise besprochen und bewertet werden.

Solche geschlossenen Systeme der Makro-Ebene bezeichnet Taleb als “self licking lollipop”. Denn ohne Einfluss von außen gelangen die Akteure innerhalb eines solchen Systems fast zwangsläufig zu falschen, mindestens aber irreführenden Ergebnissen und Rückschlüssen. 

Zwischen dem Extremen und dem Mittelmäßigen

Es gibt viele Wirtschaftsbereiche, in denen die Topriege einen enormen Einfluss ausübt. Am amerikanischen Aktienmarkt standen im Laufe der Zeit über 100.000 Unternehmen und verließen den Markt wieder. Nur ungefähr 200 Unternehmen haben im Laufe der Geschichte dauerhaften Erfolg und mehr als die Hälfte der Marktkapitalisierung erreichen können. Dies ist auch in Teilsegmenten des Marktes möglich: So dominieren im Tech-Bereich eine Handvoll Unternehmen die Verkaufszahlen. 

Der Erfolg eines Unternehmens oder einer Person definiert sich nach Taleb in erster Linie über die Skalierbarkeit. Er stellt einen erfolgreichen Zahnarzt einem erfolgreichen Buchautoren gegenüber. Während Ersterer allein aufgrund der Grenzen seiner menschlichen Möglichkeiten nicht mehr als eine bestimmte Zahl von Patienten behandeln kann, sind die Verkaufszahlen eines Buchautors theoretisch unbegrenzt. Er muss nicht für jedes verkaufte Buch ein neues schreiben. Extremer Erfolg ist demnach immer skalierbar. 

Der Effekt der Paranoia

Laut Taleb leben wir in einer Welt der Paranoia. Trotzdem sei es in vielen Situationen eine natürliche Reaktion, in Panik zu verfallen. Denn wer früher Panik verspürt, handelt auch früher. Panik und die entsprechende Reaktion ist etwas, was die Menschheit über Millionen Jahren entwickelt hat. Ohne diese Fähigkeiten wären wir ausgestorben. 

Trotzdem blieb die Reaktion auf die Pandemie von Staaten und Entscheidungsträgern bisweilen hilf- und planlos. Hätten die Vereinigten Staaten beispielsweise früher auf die Krise reagiert und viele Menschen getestet, anstatt Ressourcen in militärische Spielereien zu verschwenden, stände das Land in einer anderen Situation dar. Stattdessen setzten Regierungen weltweit auf Shutdowns, obwohl ein Shutout die klügere Wahl gewesen wäre.

Chancen liegen in der Herausforderung

Taleb verweist auf den menschlichen Modus der Überkompensation. Der Mensch braucht Herausforderungen, um gesund zu sein und um gut zu funktionieren. Ein Körper, der nicht hin und wieder im Fitnessraum gestärkt wird, verfällt. Ebenso wird ein IT-System, welches nicht regelmäßig getestet und gewartet wird, mit der Zeit nicht mehr funktionieren. 

Die Stadtstaaten der Antike und der Neuzeit sind für Taleb ein weiteres Beispiel dafür. Viele dieser Städte zeichneten sich damals durch Ressourcenknappheit aus. Trotzdem erreichten Städte wie Venedig riesigen Reichtum, da sie Importe in eine hohe Exportrate wandeln konnten. Auch moderne Städte wie Hongkong, Dubai oder Singapur zeichnen sich nicht durch ihre Fülle an Rohstoffe aus - sondern durch die Bereitschaft, einen Nachteil zu einem Vorteil zu wandeln. Eine Grundvoraussetzung ist Mut - nämlich der Mut, trotz der Möglichkeit des Scheiterns ein Risiko einzugehen. 

Von Erfolgen und vom Scheitern

In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Viele Unternehmen litten unter Covid, und sie werden weiterhin leiden, da ihre Geschäftsmodelle empfindlich getroffen wurde. Aber es auch Unternehmen, die aus dieser Zeit des Umbruchs stärker hervortreten als zuvor. Dabei helfen die radikalen technologischen Veränderungen und die Digitalisierung, die die Pandemie überdauern werden. Und der Mut, diese Veränderungen zum persönlichen Vorteil einzusetzen.

Nicht alle reagieren gleich auf ein Scheitern. Es gibt eine populäre Lebensweisheit in den USA: “When lifes gives you lemons, make lemonade. Diese positive Herangehensweise ist ein großer Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt: In Europa werden Menschen, Unternehmerinnen und Unternehmer für ihr Scheitern eher mit einem Stigma bestraft. Dabei sind es genau diese Menschen, die ein Risiko eingegangen sind - und die Geschichte zeigt, dass Menschen tendenziell höhere Erfolge verzeichnen können, die bereit sind, einen Nachteil durch Anpassungen zu einem Vorteil zu wandeln. 

Das Eingehen eines Risikos bezeichnet Taleb als eine große Tugend. Denn die Innovationskraft der Menschen, die ein Risiko eingingen, hat die Welt in vielen Belangen positiv verändert. Denn wer nicht bereit ist, Fehler oder das Scheitern als reale Möglichkeit zu akzeptieren und daraus zu lernen, kann sich nicht verbessern. 

Deshalb gibt Taleb seinem Publikum einen persönlichen Rat zur Motivation mit: Anstatt einem Kind zu sagen, dass der Besuch einer Top-Universität nur mit einem fehlerfreien Betragen möglich ist, sollte man einen anderen Weg wählen und sagen: Scheitere früh, und du wirst es später schaffen!

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